Burnout
„Ausgebrannt-Sein“ in Zusammenhang mit Stress und Erschöpfung, insbesondere am Arbeitsplatz, wird seit Jahren zunehmend in Fachkreisen ebenso wie in sämtlichen Medien beschrieben und kontrovers diskutiert. Gleichzeitig zeigt sich ein sprunghaftes Ansteigen von Krankenständen, Therapien oder Arbeitsunfähigkeit mit der Diagnosestellung Burnout-Syndrom. Dabei gibt es bislang noch keine einheitliche Definition des Begriffs Burnout, und das Krankheitsbild ist bis heute in kein internationales Klassifizierungssystem der Krankheiten (wie etwa im ICD-10 oder DSM V) als eigenständige Hauptdiagnose aufgenommen worden. Das „Erschöpfungssyndrom“, also Burnout, ist damit stets einer Hauptdiagnose, wie bspw. „depressive Episoden“ oder „Angststörungen“, zuzuordnen.
Wir dürfen annehmen, dass Menschen an Burnout erkranken können, seit sie die Fähigkeit errungen haben, selbstbestimmt zu denken und sich frei zu entscheiden und zu handeln - und dadurch auch folgenschweren Irrtümern unterliegen zu können. Schon in der griechischen Mythologie stürzt Ikarus ab, weil er sich anmaßt, zu hoch zu fliegen. Im Alten Testament wird Moses von seinem Schwiegervater vor Überlastung gewarnt (2. Mose 18), und auch aus anderen Kulturen werden entsprechende Krankheitsbilder ebenso wie spezifische Therapien beschrieben.
Der Begriff „Burnout“ in der heute üblichen Verwendung wurde 1974 zum ersten Mal als Bezeichnung einer speziellen psychischen Problematik von dem New Yorker Arzt und Psychotherapeuten Herbert J. Freudenberger genannt. Er beobachtete an zunächst besonders engagierten, ehrenamtlichen Mitarbeitern einer Hilfsorganisation im Laufe der Zeit eine Abnahme und Veränderung ihres Leistungsvermögens, unter anderem Erschöpfung, Reizbarkeit und Zynismus. Diese Veränderung der anfänglich „lodernden Begeisterung“ nannte er bezeichnenderweise „Ausgebrannt-Sein“: Burn-out.
Andere Wissenschaftler beschreiben im Zusammenhang mit Burnout einen zunehmenden Verlust von Idealismus und Energie oder Autonomieeinbußen in gestörten Auseinandersetzungen des Individuums mit seiner Umwelt. Die Psychologin Christina Maslach definiert Burnout als Syndrom aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter Leistungsfähigkeit. Wurden zunächst Burnout-Erkrankungen spezifisch bei sogenannten Helferberufen beobachtet und beschrieben, so dehnte sich diese Diagnose bald auf sämtliche Berufsgruppen aus.
Ungeachtet der formalen Einordnung in ein Diagnosesystem ist unumstritten, dass die Bedeutung dieses Krankheitsbildes und dessen gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Auswirkungen steigen. Die Betroffenen haben meist einen langen Leidensweg hinter sich, bevor es zum kompletten physischen und psychischen Zusammenbruch kommt.
Die genaue Ausprägung des Erscheinungsbildes sowie die Ursachen und Entwicklung der Erkrankung sind vielfältig und uneinheitlich. Man nimmt an, dass bei der Entstehung unterschiedliche Faktoren wie genetische Veranlagung und Persönlichkeitsstruktur, soziale Prägungen oder aktuelle Umweltbedingungen bzw. Belastungen eine Rolle spielen können.
Als Ursprung der Burnout-Erkrankung wird das Persönlichkeitsmerkmal gesehen, sich aus einem inneren Zwang heraus durch Leistung beweisen zu müssen. Burnout kommt nicht plötzlich, sondern entwickelt sich prozesshaft, wobei verschiedene Phasen oder Stadien beobachtet werden können:
Die 12 Stadien des Burnouts (nach Freudenberger)
- Stadium: Der Zwang, sich zu beweisen: Das Selbstbild und der Selbstwert müssen ständig durch Leistung genährt werden.
- Stadium: Verstärkter Einsatz: Sorgfalt, Perfektionismus und Engagement werden zwanghaft.
- Stadium: Subtile Vernachlässigung eigener Bedürfnisse: Werteverarmung, Schwinden der Vitalität; Beeinträchtigung der Beziehungsqualität.
- Stadium: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen als unbewusster Versuch sich zu schützen (Coping-Reaktion).
- Stadium: Umdeuten von Werten: Frühere Werte verlieren mehr und mehr an Bedeutung oder werden sogar abgewertet; alles ordnet sich dem Wert der Leistung unter, obwohl dieser in seinem emotionalen Gehalt nicht mehr wirklich empfunden werden kann.
- Stadium: Verstärkte Verleugnung auftretender Probleme: Die persönlichen Bedürfnisse werden nicht mehr wahrgenommen oder vernachlässigt.
- Stadium: Rückzug ohne den gewünschten Erfolg einer Erholung oder Regeneration, sodass weiterer Verdruss einkehrt.
- Stadium: Beobachtbare Verhaltensänderung: Beziehungen werden weitgehend abgebrochen oder gestört, auch die Beziehung zu sich selbst; zunehmende körperliche und seelische Verwahrlosung; letztes personales Aufbäumen in Form von Zorn, Schuld-Zuweisungen oder Zynismus.
- Stadium: Depersonalisation: Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit, Empfindungslosigkeit gegenüber sich und anderen.
- Stadium: Existentielles Vakuum: Sinnlosigkeitsgefühl breitet sich aus und geht einher mit innerem Leeregefühl und Verzweiflung.
- Stadium: Schwere Depression: völlige Gefühls- und Antriebslosigkeit
- (End-)Stadium: Burnout: vollkommene Erschöpfung, physischer und psychischer Zusammenbruch
Wie Ursachen und Ausprägung der Burnout-Erkrankung je nach Betroffenen unterschiedlich sind, so sollte auch die jeweilige Therapie auf die bestimmte Person zugeschnitten sein.
Schon unsere Vorfahren wussten über das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Deshalb sollte die medizinische bzw. fachärztliche Abklärung und Behandlung, gegebenenfalls mit medikamentöser Unterstützung, stets von psychotherapeutischer Begleitung und einem gesundheitsfördernden Lebensstil mit ausreichender Bewegung und gesunder Ernährung begleitet werden.
Dieser ganzheitliche Ansatz ist eine wichtige Säule der Rehabilitation. Teams bestehend aus Psychotherapeuten, Ärzten, Psychologen, Pflegemitarbeitern, Ergo- und Physiotherapeuten sowie Sozialarbeitern bis hin zu Diätologen arbeiten eng zusammen und unterstützen den Betroffenen, einen Weg hin zu einer neuen Lebensqualität zu finden. Weitere wesentliche Säulen sind die Akzeptanz der Erkrankung, die Bereitschaft zur persönlichen Veränderung sowie die Zustimmung zur aktiven Gestaltung des Genesungsprozesses.
Bei der psychotherapeutischen Arbeit finden vor allem folgende Punkte Beachtung:
- Einsicht in persönliche Ursachen und den Verlauf der Erkrankung
- Akzeptanz der Erkrankung als Chance, erkannte Fehler künftig vermeiden zu können
- Erlernen von Techniken zur Entlastung und zur Stressvermeidung
- Lernen, sich zu erholen und zu entspannen
- Schärfen der Sinneswahrnehmungen
- Erspüren der eigenen Befindlichkeit, eigener Bedürfnisse, eigener Grenzen
- (Wieder-)Entdeckung neuer oder ehemaliger Interessen und Werte
- Neue, bewusstere Erfahrungen im Handeln (Ergotherapie, Bewegungstherapie, Außenaktivitäten...) oder im Erleben (Genusstraining, Meditation,...)
- Stressmanagement
- Kommunikations- und Konfliktfähigkeit und damit verbunden Sozialkompetenz verbessern
- Reflexion früherer, krankmachender und Kreation neuer, stimmiger Lebensmuster
Entwicklung adäquater, sinnvoller Zukunftsperspektiven (Work-Life-Balance)
Lesetipps:
- "Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung" Burisch, Matthias (2006) Heidelberg: Springer Medizin (Grundlagenwerk)
- "Stress, Mobbing und Burn-Out am Arbeitsplatz" Litzcke, Sven Max u.a. (2007) Heidelberg: Springer Medizin (Hilfe zur Selbsthilfe, praxisorientiert)
- "Hilflose Helfer - Über die seelische Problematik helfender Berufe" Schmidbauer, Wolfgang (1977) Berlin: Rowohlt (seit Jahren Bestseller im deutschsprachigen Raum)
Es empfiehlt sich grundsätzlich, das umfangreiche Angebot an „Burnout-Literatur“ in Buchhandlungen oder Bibliotheken zu durchstöbern, um zu entdecken, was einen persönlich anspricht. Gewarnt sei vor zu einfachen Lösungsansätzen mit angepriesenen Heilsversprechungen oder vor Selbstdarstellungen von Autoren, deren Genesungsprozess nur unter bestimmten Voraussetzungen – zum Beispiel durch ein beträchtliches finanzielles Polster – realisierbar war.
Burnout-Genesung ist eben nicht einfach zu erzielen, sondern bedeutet „harte Arbeit“, und das Härteste ist, sich vom inneren Zwang, sich nur über Leistungen definieren und beweisen zu müssen, zu befreien
- oder, wie es eine Patientin ausdrückte: Das Schwierigste ist, nichts zu tun!
Redaktion:
Dr. Franz Scheßl, Dr. Andrea Jansche, Prim. Dr. Ingeburg Spendel, Mag. Petra Müller